gaby.de/
Computermuseum/
1. Vintage Computer Festival Europa 2000
Ein subjektiver Bericht von Helmut Jungkunz
Eigentlich ist das ja nix neues, ein Treffen rund um alte Computer.
Sollte man meinen, naja, es gibt Ausnahmen. Das Vintage Computer Festival
ist in seiner Art schon was besonderes. Ein Treffpunkt der Sammler
und Liebhaber besonderer alter Stücke. Diesmal freilich sollte es nicht
im berühmten Silicon Valley stattfinden, sondern erstmalig in Europa!
Grund genug also, jede Menge zu erwarten. Also nix wie hin. Gaby und ich
hatten unsere Schmuckstücke eingepackt und waren als Aussteller früher da.
Also auch ein Münchner hatte so seine Mühe, die Halle des ESV München Ost in der
Baumkirchner Straße zu finden. Wäre nicht Gaby schon am Vorabend dort
gewesen, hätten wir sicher etwas länger gebraucht, schließlich war von
Hinweisen und Plakaten so gut wie nichts zu entdecken, und die Halle liegt
etwas zurückgesetzt.
Wir haben also alles ausgeladen und das Auto geparkt, dann einen
Tisch belegt und erst mal alles hingestellt. Nachdem wir unsere Ausrüstung
gerade aufgebaut hatten, erfuhren wir die ersten Hiobsbotschaften:
drei Aussteller
hatten kurzfristig abgesagt und viel Platz würde frei bleiben. Außerdem hätten
sich so gut wie keine Anmeldungen für den Flohmarkt gefunden, so daß dieser
entfallen müsse. Weia! dachten wir - und von Publikum keine Spur...
Trotzdem bauten wir unser Zeugs neu auf und verlegten ein paar Meter Strom, bis dann
schließlich die Tür aufging und ein seltsam vetrautes und doch fremdes Gesicht
mich anlächelte und eine Hand auf mich zukam und die meine schüttelte. Als Ohrenmensch
fiel dann schließlich der Groschen beim Klang der Stimme: Professor Dr. Paul
Propellertrieb (bürgerlich Paul Lenz) aus Hannover war gekommen!
Welche Freude! Hatten wir uns doch seit der CEBIT 1990 (glaube ich) nicht mehr
gesehen und damals auch zum ersten Mal. Dazwischen gab es zwar ein paar Telefonate
und jede Menge Datenaustausch, aber getroffen hatten wir uns seither nicht mehr.
Mehr über Paule später.
Neugierig wie wir sind, war zunächst mal ein Erkunden der Nachbarschaft angesagt.
Die war nicht von schlechten Eltern und schon gar nicht von Pappe!
Da gab es Schränke aus der "Steinzeit" (VAX 1130 und Co) mit großen Terminals
und externen Prozessor-Racks, sowie 8-Zoll Winchester Festplatten und natürlich
die ganze rühmliche COMMODORE Palette. Von PET (Personal Electronic Transactor) bis
COMMODORE PLUS 4 war einiges vertreten, worin letztere eindeutig unrühmliche Laute
von sich gaben. Nicht nur daß sie nicht allein waren, sondern teilweise
auch im Chor ratterten und jaulten (SHOOT-EM UP!). Mehr ist dazu nicht zu sagen,
denn obwohl der Veranstalter Hans Franke allen ein Präsentations-Sheet in Deutsch
und Englisch ans Herz gelegt hatte, waren seine eigenen Besitztümer wohl nur anhand der
Typenschilder zu identifizieren. (Einige Commodore-Geräte mußte man sogar umdrehen, um
den Typ abzulesen!)
Nur ein paar der Aussteller waren überhaupt mit einer Art Konzept angereist.
"Vom Abakus zum Taschenrechner" etwa hieß eine Präsentation, die sich
allerdings hauptsächlich von Bildern ernährte. Diese entstammten seiner Sammlung
im Museum Waldmichelbach im Odenwald.
Ein etwas klotziger Robotron-Rechner erwies sich als Gast-Gehäuse für einen Z1013
Selbstbau-Einplatinen-Computer der DDR, der mit einem Kassetteninterface in
Zeitlupe Bits zu einem Programm zusammensetzt und ausführt. Da Computer-Software
zu Ulbrichts Zeiten unerschwinglich war, wurde in der DDR das Rundfunksignal
mit Programmsequenzen moduliert gesendet, so daß man sich diese wieder
als Bastler zuhause mitschneiden und demodulieren konnte. Sogar das ZDF hat
erst jüngst darüber berichtet.
Ein anderer Aussteller hatte lieblos ein paar Macs hingestellt und irgendwas von
"Entwicklungsstufen des Mac" hingeschrieben. Für den zweiten Tag brachten wir
daher aus Gabys Sammlung unseren MacPlus (1MB Speicher!) mit. Danach sah das
schon eher nach was aus.
Eine wirkliche Überraschung und Provokation zugleich war der MUNIAC, ein
neu entwickelter Röhren-Computer (völlig eigenes Konzept, von Grund auf
aus einem Kopf heraus entstanden als Studie). John Zabolitzky, der Vater
dieses Gerätes, hatte über Jahre hinweg immer wieder eine der vielen "Units",
wie er die einheitlichen Logikblöcke nannte, zusammengelötet und in den Computer
integriert. "Mit seinen 10K Ops (Operations per second!) ist er ja nicht gerade ein Renner und
wahrscheinlich dumm wie Bohnenstroh, aber - schöön!" Kommentar eines Besuchers,
der erfürchtig die technischen Daten in sich aufgesaugt und mit einem
Schmunzeln quittiert hatte. Es ist schon beachtlich: Im Jahr 2000 einen solchen
Computer nachzuentwickeln, der in 19-Zoll Schränken daherkommt und dessen
größtes Problem es ist, innerhalb der 10A Strombegrenzungen zu bleiben,
damit auch Haushaltssicherungen die Spitzen des Einschalt- und Ausschaltstroms
verkraften!
Damit auch der Laie sich informieren konnte, gab es Vorträge über diverse
Themenbereiche nicht nur zum MUNIAC, sondern auch zu anderen Gebieten. Hier wurde
deutlich, daß es sich um eine internationale Veranstaltung handelte. Viele Vorträge
waren in Englisch und leider waren es nicht die uninteressantesten Themen, die so
manchem verschlossen blieben. Als Aussteller muß man meist bei seinen Geräten
bleiben, aber zwei Vorträge habe ich mir (wenigstens teilweise) gegönnt:
Da war zum einen den Vortrag des amerikanischen Partners
Sellam Ismail zum Thema
"The KIPU (QUIPOU) - the Mnemonic Recording Device of the Inka", was soviel
heißt wie "Das Kipu, die mnemonische Aufzeichnungsvorrichtung der Inka".
Über eine Leitschnur (Stammstrang) wurde mittels senkrecht abzweigender
und sich vergabelnder Index-Schnüre und darauf befindlicher Knoten eine hierachische
Struktur geschaffen, mit der geschichtliche Ereignisse und kulturelle Zusammenhänge
logisch nachvollziehbar dokumentiert werden konnten.
Der andere Vortrag hatte einen ungewöhnlichen Gedankenansatz zum Thema:
"Archäologische Gesichtspunkte beim Sammeln alter Computer" könnte man den
Titel frei übersetzen. Die Vortragende Christine Finn hatte als Archäologin
eines Tages beim Betreten eines Lagers mit einem gigantischen Durcheinander
an Computerleichen und Gerümpel aller Art dasselbe merkmürdige Kribbeln, das
Archäologen befällt, wenn sie auf eine mögliche Fundstelle stoßen:
Bloß nichts anfassen, erst dokumentieren, was steht wo und welcher Zusammenhang
drängt sich auf? Ist das Gefundene schon alles oder ist da noch mehr in der Nähe?
Gibt es Hinweise, Beschreibungen, Spuren von Zusammengehörigkeiten?
Wie in der Archäologie kann es auch hier darauf ankommen, erstmal alles zu sammeln
und sorgsam zu archivieren, Beschreibungen anzufertigen, sowie Fotografien etc., mit deren
Hilfe über Publikationen (z.B. im WEB) oft erst der Sinn oder Wert eines Gegenstandes
ermittelt werden kann. Im Gegensatz zum herkömmlichen Sammler hat der Archäologe
unter den Computersammlern zunächst häufig nur einen Bruchteil eines Gerätes,
dessen Sinn und Herkunft er erst einmal ergründen muß. Mit viel Glück trifft er
im Lauf der Zeit andere mit ähnlichen Stücken oder mit dem zugehörigen Wissen, und
vielleicht ist es ihm sogar möglich, durch Zusammentragen von Puzzleteilen aus der
ganzen Welt eines Tages eines der legendären Geräte zusammenzubauen und wiederzubeleben.
Das faszinierendste am Vintage Computerfestival war aber zweifelsfrei der Tisch
von Paul Lenz. Schon der legendäre BigBoard Computer hatte natürlich sofort mein
Interesse geweckt, gilt er doch als der Urvater der europäischen ZCPR-Aera.
Sein intelligentes BIOS ermöglichte die Anpassung der unterschiedlichsten
Diskettenformate mit AUTO-Login, ähnlich wie die CPU280 von Tilmann Reh, die
auf meinem Stand gezeigt wurde. (Überhaupt eine sehr traditionelle Ecke, auch mit
Gaby Chaudry's ABC24 (und natürlich mit Gaby <G>), der vor der Verschrottung
bewahrt blieb beim Elektronik-Flohmarkt 1998).
Paul hatte da nämlich einen SHARP MZ80 K mit Hardware-Zusatz aufgebaut. Dieser
"Hardware-Zusatz" ließ so manchem Besucher erst mal den Atem stocken und
verursachte so manchen Stau.
Vor über zehn Jahren hatte Paul mal an einem Wettbewerb
für die Fernsehsendung "Mit Schraubstock und Geige" teilgenommen und eine Maschine
konstruiert, die z.B. ein Ei entgegennimmt, es erst mal durchleuchtet und im
Ernstfall mit der Bemerkung zurückweist (gesprochen und geschrieben!):" Dieses Ei
ist roh!". Legt man dann ein hart gekochtes (ostertaugliches) Ei ein, umkreisen zwei
Filzstifte das Ei und malen konzentrische Muster darauf. Danach geht das Ei ab zur Guillotine -
nicht lachen, das ist ernst! Also, das Ei wird da von zwei Spannbacken festgehalten,
während ein Messer auf einem Scheibenwischermotor ---wusch!!--- das Ei präzise
köpft! Damit nicht genug, das Ei fährt zurück und wartet, während ein
symbolischer, schwarz lackierter
Mini-Sarg sich davor langsam öffnet und mit einer Mini-Hebebühne (!) dramatisch
Salz und Löffel preisgibt! Zum Abschluß ertönt ein melodramatischer Kaufhausgong
und eine Stimme wünscht "Guten Appetit!". Also ich weiß nicht mehr so
genau, wieviele Eier wir
an diesem Tag gegessen haben, jedenfalls mehr als an Ostern.
Vielen Dank Paul für diese geniale Präsentation!
Dieses Festival habe ich übrigens gefilmt und als MOVIE Files auf CD gebrannt,
zusammen mit der Homepage des Vintage Computer Festivals und Zusatzmaterial.
Ich wünsche viel Spaß beim Durchstöbern!
Euer
Helmut Jungkunz
helmut@gaby.de